Schonmal einen polnischen Abgang gemacht? Woher dieser Begriff kommt und warum die Polen und Franzosen anders abhauen als Deutsche und Engländer.

Vor etwa drei Jahren geschah es – Wir begegneten uns im Internet. Mein Herz klopfte ein wenig höher, als wir uns an einem verkaterten Sonntagnachmittag trafen – Ich wusste sofort, ich hatte etwas gefunden, wonach ich schon lange suchte. Dieser Begriff, den ich einfach ins Herz schließen musste. Beschrieb er doch so treffend eine Gepflogenheit die ich seit Jahren kultiviert hatte: Der polnische Abgang.

Der polnische Abgang, vermutlich so alt ist wie die Menschheit selbst, hat eine eigene Facebook-Seite mit ca. 100.000 Fans und bezeichnet das sich heimliche davonstehlen ohne sich zu verabschieden. Einen gekonnten Polnischen hinzulegen ist eine Kunst, schließlich erfordert es Konzentration, Beobachtungsgabe und schnelles Handeln.

Besonders an Wochenendnächten, wenn das letztes Bier getrunken ist und die Gespräche langsam ausfransen, ist derpolnische Abgang eine effektive Methode, sich ohne viele Erklärungen aus der Affäre zu ziehen. Da ich noch nie ein Fan von langen Verabschiedungszermonien war, und nicht zu den geduldigsten Naturen gehöre, war ich froh nun einen Namen für die von mir regelmäßig angewandte Technik zu kennen.

Doch woher kommt die Bezeichnung Polnischer Abgang? Sie leitet sich von der Redewendung „sich davon stehlen“ ab und kaut somit den Stereotypen des diebischen Polens wieder – ein im Deutschland der 90er Jahre besonders beliebtes Klischee. So weit, so witzlos.

Interessant ist aber, dass es ähnliche Bezeichnungen, die sich nur dadurch unterscheiden, wem der schwarze Peter zugeschoben wird, auf der ganzen Welt gibt. So sagen die Polen wyjśćie po angielsku, was soviel heißt so viel wie Abgang auf die englische Art. Dies ist eine Übertragung aus dem Französischen, wo man das ganze als filer á l’anglaise kennt. Dies rührt etwa nicht von einer Antipathie gegenüber den Briten her: Anglaiser ist ein veraltetes Wort für stehlen. Die ursprüngliche Bedeutung hat sich in filer á l’anglaise erhalten, was so viel wie sich verdrücken auf die Art des Diebes heißt.

Die älteste Verwendung des Begriffes stammt von den Briten selbst: Diese sprechen aber von to take a french leave. Diese Bezeichnung wurde von der britischen Armee auch als Euphemismus für Deserteure benutzt, weshalb ihr Ursprung im Militärwesen vermutet wird. Tatsächlich geht der french leave auf eine Gepflogenheit zurück, die in Frankreich Mitte des Achtzehnten Jahrhunderts Mode wurde und vom Adel auf das feine Bürgertum übergriff: Man pflegte gesellschaftliche Anlässe zu verlassen, ohne sich beim Gastgeber zu verabschieden. Es galt sogar als grobe Unhöflichkeit, sein Aufbrechen anzukündigen und damit die anderen Gäste zu stören. Mit der Zeit kam dieser Brauch wieder aus der Mode, in Anspielung darauf etablierte sich der französische Abgang.

Auch aus meinem Leben hat sich diese Tradition heimlich, still und leise davongemacht: Zum einen sind die langen Wochenendnächte seltener geworden, und oft sind das Sofa und ein guter Film einfach viel verlockender, als nochmal vor die Tür zu gehen. Zum anderen sind in Buenos Aires, meinem momentanen Zuhause, die Eingangstüren stets verschlossen. Da man sich also vom Gastgeber zur Tür begleiten lassen muss, gehören die polnischen, englischen und französischen Abgänge für mich der Vergangenheit an. Für den argentinischen Abgang muss ich jetzt etwas mehr Zeit einplanen.

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